Junge Leute kehren Ost-Bezirken den Rücken
Nach der Wende haben viele Jugendliche Stadtteile wie Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg verlassen – Heute fehlen Familien mit Kindern
Von Anne Klesse
Junge Menschen wollen nicht im Osten wohnen. Schon kurz nach der Wiedervereinigung hatte ein Großteil der unter 20-Jährigen die Berliner Ostbezirke verlassen und war in den Westen gezogen. Bis heute haben sich die betroffenen Stadtteile davon nicht erholt und vergreisen langsam.
So lebten Ende 2006 53 Prozent Menschen unter 20 Jahren weniger in Marzahn-Hellersdorf als im Jahr 1991. Bei den über 65-Jährigen hingegen ist der Bezirk sehr beliebt. Denn im Vergleich zu 1991, als 21 488 Senioren in Marzahn-Hellersdorf lebten, nahm ihre Zahl bis Ende 2006 mit 35 919 um 67 Prozent zu. Insgesamt sind in dem Bezirk heute fast 42 000 Einwohner weniger gemeldet (14 Prozent) als vor 15 Jahren. Das zeigen Zahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg.
Lichtenberg ebenfalls überaltert
Auf Platz zwei der bei jungen Erwachsenen unbeliebtesten Bezirke liegt Lichtenberg. In dem zwischen Friedrichshain und Marzahn gelegenen Stadtteil wohnten Ende 2006 etwa 44 Prozent Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren (40 154) weniger als im Jahr 1991 – da waren es 71 796. Mit 21 Prozent Schwund an jungen Leuten belegt Friedrichshain-Kreuzberg Platz drei: Dort lebten statt damals 56 969 unter 20-Jährigen Ende 2006 nur noch 44 492.
Alexey Faerovich kommt aus Charlottenburg-Wilmersdorf, und der 22-Jährige kann sich nicht vorstellen, in den Osten zu ziehen: „Gerade Marzahn-Hellersdorf ist hässlich und unattraktiv – für mich gäbe es keinen Grund, dort zu leben. Ich würde nicht dort wohnen wollen.“ Sebastian Struck (20) hingegen ist in Marzahn aufgewachsen, geht dort auch zur Berufsschule und fühlt sich in seinem Stadtteil wohl. Er sagt: „Marzahn ist je nach Wohngebiet sehr unterschiedlich, die einzelnen Viertel lassen sich nicht über einen Kamm scheren.“ Mit seiner Familie wohnt der Automobilkaufmann-Azubi in Mahlsdorf, einem Viertel mit vielen Einfamilienhäusern. „Marzahn hat einfach nur ein Imageproblem“, sagt er. „Die meisten Menschen verbinden mit dem Bezirk ausschließlich graue Plattenbauten. Dabei gibt es hier auch viele schöne Ecken und viel Grün.“
David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) bekräftigt diesen Eindruck. In Marzahn-Hellersdorf leiden seine Verbandsmitglieder unter einem Wohnungsleerstand von 10,1 Prozent – dem höchsten Wert der ganzen Stadt. Die wenigen treuen Mieter seien alt, und nach deren Tod kämen keine jüngeren nach. „Mehr als 100 000 Wohnungen sind inzwischen unvermietet. Uns fehlen einfach die jungen Familien mit Kindern.“
Mietnachlass als Lockmittel
Obwohl die Berliner Mieten im Vergleich zu denen anderer Großstädte eher gering sind, seien keine jungen Nachmieter zu finden. „Manche Bezirke im Osten Berlins haben einfach ein Imageproblem“, sagt Eberhart. Denn eigentlich seien die Voraussetzungen für Mieter gut: „Die Mieten in den Ost-Bezirken sind in der Regel sehr niedrig. Wir haben inzwischen viele Plattenbauten abgerissen und stattdessen Grünflächen und Spielplätze geschaffen.“ Um neue Mieter in den Osten zu locken, böten einige Immobilienunternehmen künftigen Bewohnern ein Mitspracherecht beim Umbau der Wohnungen, mietfreie Monate für Studenten oder den Verzicht auf eine Kaution an. Bislang blieben diese Maßnahmen aber ohne Wirkung.
Sascha Behmel (21) wohnt in Pankow, einem Ost-Bezirk, der seit 1991 nur acht Prozent der jungen Einwohner eingebüßt hat. „Pankow bietet jungen Leuten etwas, man kann vieles unternehmen, und es gibt Jobs“, sagt er. Ihre Heimatstadtteile verließen junge Menschen vor allem deshalb, weil ihnen in anderen Bezirken mehr geboten werde, sowohl berufliche Perspektiven als auch Freizeitmöglichkeiten.
BBU-Sprecher David Eberhart findet, die Wohnungsbaugesellschaften haben genug investiert. Der Verband setzt sich nun für eine Fortsetzung des Bund-Länder-Programms „Stadtumbau Ost“ ein. Im Rahmen dieser Städtebauförderung werden seit dem Jahr 2002 leer stehende Wohnungen im Osten Deutschlands abgerissen und bis 2009 rund 2,5 Milliarden Euro in die Aufwertung von Stadtteilen investiert. Eberhart: „Jetzt muss auch der Senat aktiv werden und für Berlin um junge Familien mit Kindern werben.“